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Der 'organizte' Betrieb - eine Utopie?


Es ist Mittwoch, Felix, der Betriebsrat eines großen Unternehmens, steigt am Parkplatz aus seinem Auto und fühlt den warmen Frühlingsföhn, der ihm um die Ohren weht. Er freut sich schon wieder auf seinen Arbeitstag, denn er weiß, dass er heute wieder vielen seiner KollegInnen helfen kann. Er geht die Treppe zum Eingang hoch und wird vom Kollegen beim Empfang mit einem freundlichen "Guten Morgen" begrüßt.

Hans, der Portier, der schon seit 22 Jahren im Betrieb ist, lächelt seinen Betriebsrat an. "Guten Morgen, Hans", erwidert Felix und geht den Gang entlang in sein BR Büro. Er muss sich beeilen, weil um 10 Uhr beginnt das Meeting mit dem Organisierungskomitee, dort werden wieder die Wünsche und Anliegen aus der Belegschaft mit dem Betriebsratskollegium diskutiert. Dieses Mal steht eine Betriebsversammlung und die alljährliche Grillfeier auf der Tagesordnung.

Im vergangenen Jahr gab es einige Probleme, weil die Feier vom Betriebsrat geplant und durchgeführt wurde und weil einige KollegInnen immer Fehler finden, die sie kritisieren können. Der Betriebsrat hat allerdings vor 7 Monaten von einem neuen Projekt gehört, dass die Gewerkschaft anbietet. "Organizing" nennt sich dieses neuartige Zeug, von dem Felix bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Er besprach das Projekt in einer Betriebsratssitzung und er bekam die Zustimmung, das Projekt einmal zu testen.

Felix war bis dahin mit vielen Problemen konfrontiert. Er ist immerhin Betriebsrat für eine Menge Leute und kann nicht immer bei allen sein. Es rumorte bereits in der Belegschaft, weil Felix nach der Wahl so mit Terminen eingedeckt war und er es nicht immer erklären konnte, dass er so selten direkt zu den KollegInnen gehen konnte. "Der ist doch sowieso nie da" oder "Jetzt ist er Betriebsrat und glaubt, er ist was Besseres" waren nur zwei der Sprüche die so gefallen sind. Felix konnte das gar nicht verstehen, denn er war immer für seine Belegschaft unterwegs, ging in Sitzungen der Gewerkschaft, wo er über den Kollektivvertrag diskutierte oder auf Schulungen um fit für seinen Job zu sein.

Das schlimmste Erlebnis, das Felix hatte, war eine Betriebsvereinbarung, die er für seine Leute abgeschlossen hatte. Er wollte das neue Arbeitszeitmodell in einer Betriebsversammlung präsentieren. Dem Abschluss der BV waren ewig lange Verhandlungsabende vorangegangen. Wie es manchmal so ist, muss man als Betriebsrat auch den einen oder anderen Kompromiss eingehen, aber Felix wusste, dass der Anfangsentwurf der Geschäftsleitung sehr unsozial war und er viele Verbesserungen hinein verhandeln konnte. Bei der Betriebsversammlung allerdings gab es wieder ein paar, die alles schlecht reden mussten.

Sie hielten Felix die wenigen Verschlechterungen vor, die die neue BV mit sich brachte und ignorierten die vielen Verbesserungen voll und ganz. Die meisten anderen waren ruhig und hörten den "Aufwieglern" gespannt zu. "Du weißt ja gar nicht mehr, wie es uns geht. Du bist ja nur Betriebsrat und sitzt brav in deinem Büro!", rief ein Kollege, der auch sonst immer gegen den Betriebsrat wettert.

Das war der Punkt, an dem Felix erkannte, er müsse etwas ändern, in der Gewerkschaft anrief und fragte was er machen könne. Da erzählte ihm sein Sekretär von dem Organizing Projekt, das gerade gestartet wird. "Ich kann ja nichts verlieren", antwortete Felix seinem Sekretär. Ein paar Wochen darauf fing er an, gemeinsam mit einem Team "Wild-Entschlossener" eine Organisierungskampagne durchzuführen, um ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen. "Kommunikationsnetzwerk?", dachte er sich am Anfang und war sehr skeptisch, was da wohl auf ihm zukommen wird. Sein betreuender Sekretär von der Gewerkschaft erklärte ihm, dass er nicht immer versuchen solle alles selbst zu machen.

Felix hat dann gemeinsam mit seinem Gewerkschaftssekretär ein Netzwerk im Unternehmen aufgebaut, in dem er verschiedene AktivistInnen hat, die regelmäßig beim Kaffee, in der Pause, beim Mittagessen oder bei sonstigen betrieblichen Zusammenkünften mit der Belegschaft reden und die dortigen Meinungen einholen. "Eine Aktivistin darf nicht mehr als 10 KollegInnen betreuen", versuchte ihn sein Sekretär zu bremsen, "immerhin sind nicht alle BetriebsrätInnen und müssen von dem, was sie erzählen, überzeugt sein! "Das klingt logisch", dachte sich Felix und beherzigte den Rat.

Ein paar Monate später hatte er es mit Hilfe des Organizing geschafft ein Kommunikationsnetzwerk im Betrieb aufzubauen, in dem ca. 80% der Belegschaft in kurzer Zeit Information erhalten kann. Nicht über ein E-Mail oder ein Flugblatt, NEIN, sondern von einem bekannten Gesicht, PERSÖNLICH! In kürzester Zeit ging eine positive Veränderung durch das Unternehmen, denn die Belegschaft konnte plötzlich nicht nur die Informationen lesen, sondern auch direkt einem/r KollegIn ein Feedback geben. In regelmäßigen Sitzungen holte sich Felix die Meinungen der Belegschaft via AktivistInnen ein und konnte so auf verschiedenste Dinge rechtzeitig reagieren und die Leute in der Firma beteiligten sich selbst an der Planung diverser Aktivitäten. Es war anfangs sehr schwer für Felix, nicht mehr ausschließlich selbst mit seinem kleinen BR Gremium zu entscheiden, sondern die Meinung aller einzubauen, aber dort wo es möglich war, versuchte er es auch.

Es ist nun 10 Uhr, die Sitzung des Organisierungskomitees beginnt und Felix stellt die erste Frage: "Wie stehen die KollegInnen zur Betriebsvereinbarung über die Videoüberwachung?" Es geht ein Raunen durch die Runde und die erste Aktivistin meldet sich zu Wort. Es ist Barbara, sie ist kein Betriebsrat, aber eine überzeugte Gewerkschafterin, weshalb sie sich sofort als Aktivistin zur Verfügung stellte: "Also bei mir sind die Leute sehr skeptisch. Sie wollen während der Arbeit nicht gefilmt werden. Jeder würde verstehen, wenn der Eingangsbereich kontrolliert wird, aber jeder Gang im Gebäude?"

Barbara bekam große Zustimmung von den anderen im Raum. Auch Felix sah das ein und vermerkte es in seinem Block. Er weiß, dass er selbstbewusst in die Verhandlung mit dem Chef gehen kann, weil er auf die Unterstützung der Belegschaft zählen kann. Er hat die Erfahrung gemacht, dass wenn die Menschen mitreden dürfen, sie auch für Aktionen bereit sind. Eine einfache Befehlsausgabe - "Jetzt wird gestreikt" - hat noch nie wirklich funktioniert, ohne dass die Leute wissen, um was es geht, ist Felix überzeugt. "Sagt den KollegInnen, dass ich nur eine BV unterschreiben werde, in der nur der Eingang kontrolliert wird!", sagte Felix in Richtung Barbara mit fester Stimme. Ein zufriedenes und zustimmendes Nicken ging durch die Runde. Als nächster Tagesordnungspunkt war die Grillfeier geplant: "Bitte in diesem Jahr auch etwas Vegetarisches einplanen", bemerkte Sonja sofort. Die Kolleginnen aus der Buchhaltung wollen lieber etwas Gesundes als nur Steaks. Karl, der Stellvertreter von Felix, der für die Planung verantwortlich war, war sichtlich erfreut über diese Meldung, denn er hätte daran gar nicht gedacht. Auch er ist froh über diese Information.

Die Sitzung dauerte ca. 1 Stunde und danach gingen die AktivistInnen wieder zurück an die Arbeit um den KollegInnen im Laufe der kommenden Woche über die Vorhaben zu informieren. Auch die BetriebsrätInnen machten sich sofort an die Arbeit um die Vorschläge und Wünsche umzusetzen.
"Es ist das Beste, was ich je gemacht habe", ist Felix felsenfest überzeugt. "Die nächste KV Verhandlung kann gerne kommen. Ich werde meine Belegschaft von Anfang an über mein Kommunikationsnetzwerk in den Verhandlungsstand einbauen und regelmäßig abfragen lassen, ob sie mit dem Verlauf zufrieden sind." Das kann Felix nun auch machen und er kann sich auf die Unterstützung seiner Belegschaft in Zukunft immer verlassen. Nicht weil er sie in Sitzungen rhetorisch überzeugt, sondern weil er sie mit in die Arbeit einbindet. Er hat gesehen, dass er als Stellvertreter alleine da steht. Nur mit der Beteiligung und Unterstützung kann er seinen Job als Betriebsrat so ausführen, wie er es jetzt macht!

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